Hannoversche Allgemeine Zeitung, 06.02.2013

von Conrad von Meding

Das Ökowohngebiet zero:e in Wettbergen-Süd gilt europaweit als Vorzeigeprojekt für energieeffizientes Bauen und Wohnen. Die Nachfrage nach Grundstücken ist so groß, dass jetzt der letzte Bauabschnitt vorbereitet wird, etliche Jahre früher als erwartet.

Hannover. Wenn alles so gekommen wäre, wie Planer am Schreibtisch denken, dann wäre die Nullenergiesiedlung in Wettbergen voll mit Familien wie den Erdenbergers. Zwei Eltern, zwei Kinder – so weit ist alles typisch für Neubaugebiete. Aber bei dieser Familie sind beide Eltern Mathematiker und arbeiten in der Softwarebranche. Ausschließlich solche Menschen mit ihrer hohen Affinität zu Technik, so hatten die Planer an ihren Schreibtischen vermutet, würden eines Tages die anspruchsvolle Siedlung am Südrand Hannovers bevölkern. Und weil es von solchen Familien nicht so viele gibt, war der Ausbau der Siedlung auf gemächliche zehn Jahre veranschlagt worden. Schließlich ist ein hoher Ökostandard auch nicht ganz billig. Doch es kam alles anders.

Dass Familien wie die Erdenbergers in der Siedlung leben und glücklich sind, ist ein Beweis dafür, dass die Rechnung der Planer am Schreibtisch zumindest zum Teil aufgegangen ist. Dass aber schon jetzt, gerade einmal ein Jahr nach Bezug der ersten Häuser, der dritte und damit letzte Bauabschnitt geplant wird und im zweiten Bauabschnitt nur noch sieben Grundstücke frei sein würden – damit hatte niemand gerechnet. Das größte Erstaunen aber löst der Bewohnermix aus. Es sind beileibe nicht nur extravagante Techniknerds, die sich auf das Experiment mit dem Zukunftswohnen einlassen, sondern ganz normale Familien. „Wir sind nicht wegen des Passivhausstandards hierhergezogen. Aber der Passivhausstandard hat uns auch nicht abgeschreckt“, sagt ein Lehrer aus einem der Häuser mit Blick auf den Hirtenbach: „Wir wollten so bauen, wie es uns gefällt, und das war hier problemlos möglich.“

zero:e-Park heißt das 26 Hektar große Gebiet. „Null Energie“ soll der Begriff bedeuten. Mit der Siedlung hat Hannovers rot-grüne Stadtregierung vor einigen Jahren ein Experiment angeschoben, das ganz offenkundig auf große Nachfrage gestoßen ist. Am Rande des Landschaftsschutzgebiets in Wettbergen-Süd, zwischen der Straße In der Rehre und dem kleinen Hirtenbach, hat die Stadt ein Baugebiet ausgewiesen, das von den Bauherren höchste Energieeffizienz abfordert. Sogar der Passivhausstandard, der dank dicker Gebäudehüllen und intelligenter Wärmerückgewinnung Häuser fast ohne Heizenergieverbrauch vorsieht, soll noch übertroffen werden – rein rechnerisch soll durch Beteiligung an einem Wasserkraftwerk sogar der Null-Energie-Verbrauch erreicht werden, auch wenn in den Häusern gelegentlich etwas geheizt wird. Allerdings nicht immer: Trotz Minustemperaturen war der Holzpelletsofen bei den Erdenbergers gestern nicht in Betrieb. Schließlich schien die Sonne – und heizte über die großen Südfenster die Wohnräume auf bis zu 26 Grad hoch.

„Anfangs gab es ein paar kleine Probleme mit der Technik, bis sich alles eingespielt hat“, sagt Anke Erdenberger. Seit März lebt die Familie in ihrem Architektenhaus, zweimal musste an den Energiekreisläufen nachgesteuert werden, weil es zu warm oder zu kalt im Haus wurde. „Ein Problem war das aber nicht“, betont die Mutter von Katja (2) und Jan (5). Die Familie war das Wohnen mit einer Raumlüftung, Filter und Wärmetauscher allerdings bereits gewohnt. „Für Allergiker ist es exzellent, die Pollen einfach gar nicht ins Haus zu lassen.“

Doch es wohnen eben auch Familien in dem Gebiet, die nicht wegen der Technik hergezogen sind. Etwa Kristina Ertel, die mit ihrem Mann und Tochter Serafina in dem wohl erstaunlichsten Haus der Siedlung lebt. Eigentlich sind Passivhäuser möglichst gradlinig, ohne Erker oder Vorsprünge, um kalter Außenluft wenig Angriffsfläche zu bieten. Die Ertels aber wohnen in einem Mansarddachhaus der Firma Fischer-Bau. „Wir hatten diesen Haustyp in einem Baugebiet in Hemmingen gesehen – und uns sofort in dieses Haus verliebt“, sagt die 26-jährige Lehrerin. Zunächst wollte die Familie in Ronnenberg bauen, zog dann aber doch die Nähe zur Großstadt und zu den Eltern in Wettbergen vor. Dass das Mansarddachhaus mit dem zerklüfteten Dach und seinen vielen Ecken und Kanten in ein Passivhausgebiet gebaut werden sollte, müssen sie bei Fischer-Bau offenbar eher als Ansporn denn als Problem empfunden haben. „Man kann in jeder Architektur ein Passivhaus errichten“, sagt Architekt und Juniorchef Hendrik Fischer. Am Ende war es wohl nicht einfach, die erforderten hohen Dämmwerte zu erzielen – aber lösbar. „Wir haben schließlich alle Zertifikate erhalten“, sagt Fischer stolz. Die Familie ist zufrieden. „Die ganzen modernen Gebäude werden ihren Charme schnell verlieren“, ist Kristina Ertel sicher, „diese Architektur aber ist zeitlos.“

Tatsächlich ist die Gebäudeform in dem Vorzeige-Baugebiet in der Mehrheit traditionell – statt Flach- oder Pultdächern überwiegen Satteldächer. Kein Wunder: Zur Gestaltung gibt es kaum Vorschriften, jeder darf sich seinen Gebäudetyp selbst aussuchen und auf die gut 500 bis 660 Quadratmeter großen Grundstücke stellen. Was allen Gebäuden gemeinsam ist, ist die weitgehend geschlossene Nordwand (hält Wärme im Inneren) und die weitgehend verglaste Südwand (lässt Sonne herein). Und faktisch ist auch die Höhe vorgegeben: Sogar am 21. Dezember, wenn die Sonne am tiefsten steht, darf kein Haus das andere verschatten. Die Planer hatten exakte Winkel ausgerechnet – nachher kam es doch nicht ganz hin, zwischen einigen Nachbarn und der Stadt gab es Ärger wegen Schattenwurfs, der aber inzwischen ausgeräumt ist. „Es sind ja nur ein paar Tage“, sagt einer der Beteiligten.

Eine der ersten Familien im zero:e-Park waren die Wytulanys. „Zehn Jahre lang haben wir darauf gewartet, dass dieses schöne Gebiet als Baufläche freigegeben wird“, sagt Katharina Wytulany, deren Familie aus Wettbergen stammt. Dass es dann ein Nullen-Ergie-Projekt wurde, habe den Reiz sogar noch erhöht. „Vorher war der Begriff Passivhaus irgendwie abstrakt, inzwischen wissen wir, wie viele Vorteile das Leben im Passivhaus bietet.“

Auch bei Fischer-Bau hat man die Erfahrung gemacht, dass die Scheu vor Passivhäusern sinkt. Das Unternehmen hat ein Musterhaus eingerichtet, das inzwischen täglich geöffnet ist. „An Wochenenden kommen sogar bis zu 150 Menschen her und wollen sich informieren“, sagt Vertriebsleiter Sven Tauer. Auch das Wohnungsunternehmen Meravis, das zu den Initiatoren des zero:e-Parks gehört, will jetzt in seiner Passiv-Reihenhauszeile ein Musterhaus einrichten. „Die große Nachfrage hat uns überrascht“, sagt Sprecherin Melanie Römermann: „Aber sie hat auch gezeigt, dass solche Projekte der richtige Weg sind.“